Liebe Leser,
Sie wissen ja, jeder Tag, jeder Monat, jedes Jahr birgt seine Überraschung. Sie kommt über uns wie die Nachrichten der Tageszeitung, unaufhaltsam. Und mit Nachrichten kenne ich mich aus. Warum? Weil ich es bin, der sie austrägt. Weil das Austragen der Zeitung meine Lieblingsbeschäftigung ist. Weil ich die Menschen glücklich machen und warnen möchte vor den Übeln dieser Welt. Am liebsten aber mache ich meine Frida glücklich, und zwar ganz dolle. Denn meine Liebste hat es gewiss nicht leicht. Immerhin muss sie ebenso wie ich früh raus, nämlich zur Schnapsfabrik, um alles blintzeblanke zu putzen, genauso wie sie das zuhause tut. Extrem!
Wer so eine anstrengende Arbeit tut wie wir, der ist bekanntlich schon früh am Abend müde. Darum tun Frida und ich immer bei der Tagesschau gemütlich vor dem Fernseher sitzen. Wir schmausen uns die Bäuche voll mit gesottenen Schweinepfötchen oder mit unserer Spezialität, die wir „Verlorene Nacht“ nennen. Das sind Nudeln, die in einem randvollen Schmalztöpfchen schwimmen. Am liebsten mit einem Thymianzweig darin, von Kuddls Balkon nebenan. Leider stehen seine Töpfe zur Zeit außer Reichweite. Nur selten, höchsten wenn der Schweinebauch nicht kross genug gebacken ist oder ich mal zu heftige aufstoßen tue, kann es in dieser leckeren Stunde zu Unstimmigkeiten kommen.
Dann aber ist es doch wieder so weit gewesen. Also, Frida und ich tun ganz entspannt vor dem Fernseher sitzen. Ich versenke grade einen gut gefüllten Speckkrapfen. Da zappt Frida auf ein Programm mit einer Sendung, von der ich dachte, sie wäre ein Schänder-Krimi. Doch sollte Frida mich alsbald aufklären tun. Nicht „Schänder“ war gemeint, sondern „Gender“! Kein Krimi, sondern ein Berichte-Film. Da habe ich das Programm wechseln wollen. Doch Frida hat sich quer gestellt. „Nichts da!“ Und: „Heute wird etwas für die Erkenntnis getan.“ Nun gut, habe ich gedacht, tu der Frida doch einfach mal den Gefallen. Sie ist ja immer so wissbegierig. Das ist allerdings ein Fehler gewesen - was ich aber leider erst später leidvoll erfahren sollte. Na ja, genau genommen haben wir beide eine leidvolle Erfahrung gehabt ...
Ich muss zugeben, dass die Fernseh-Berichterin eine echte Professorin ist, also eine so richtig schlaue und gebildete Frau, eine Akademikerin. Die hat sogar ein Buch geschrieben. Ein g a n z e s Buch, mit vielen Seiten und so. Das könne man nicht einmal von den Ingenieuren behaupten, die echte Satelliten in den Weltraum schießen, hat der Kuddl von nebenan gesagt. Diese schlaue Professorin hat uns aufklären wollen - nämlich darüber, Achtung! Jetzt kommt’s, nämlich dass mein Geschlecht ein Produkt meiner Erziehung wäre. Ich habe gestutzt. Mein Gebimmel, zu dem Frida immer Gebammel sagt? Aber ja, auch Frida soll angeblich nur zur Frida geworden sein, weil sie sozusagen gegendert, also erzogen worden ist. Oh man, hab ich einen Schrecken bekommen. Aber auch ein verflucht schlechtes Gewissen. Weil nämlich unser lieber Sohn seit Neuestem behauptet, er wäre vollschwul. Was ich aber bezweifle. Jedenfalls hat er uns diese Lebensart im letzten Jahr zu Weihnachten verraten. „Überraschung!“, hat er ausgerufen und sich eine Weihnachtsmütze auf den Kopf gesetzt. Das sei sein Geschenk an uns, hat er strahlend hinzugefügt. Und denkt euch nur, hat er gesagt, ich, also mein Sohn, bin wunschlos glücklich dabei. Komisch, bislang habe ich immer gedacht, so etwas gäbe es nur bei Bürgermeistern, Grünen und SPD-lern. Verdammt, Frida hat hinterher vollscheiße geweint. Weil sie nun keine Enkel mehr bekommen wird.
Oh Gott, wie oft haben wir unser Gene verflucht, die unserem Jungen das Schwulsein angetan haben. Aber wir sitzen ja nicht in unseren Gen-Zellen drin, sind somit unschuldig, weil wir es nicht haben verhindern können. Diese Erkenntnis hat uns damals gutgetan. War das vielleicht eine Erlösung. Richtig entspannt hat Frida seinerzeit eine Hammel-Schwarte in den Ofen geschoben.
Alles ist also wieder okay gewesen. Bis zu dieser Fensehsendung. Plötzlich hat Frida sich zur Seite gedreht. Zu mir! Mir ist fahl geworden im Bauch. Wegen des Speckkrapfens? Oder wegen Frida? Es ist Frida gewesen. Wer diesen Blick jemals erlebt hat, wird die Gravur niemals mehr aus seinen Erinnerungen tilgen können. Der Vorwurf schlechthin. Ein Vorspiel für weit Schlimmeres. Mit ausgetrecktem Zeigefinger hat sie auf mich gezeigt. Du hast den Jungen erzogen. Du hast ihn zum Schwulen gegendert, seine ganze Kindheit entlang. Denn ich bin eine Frau, von mir kann er kein Schwulsein gelernt haben. Den Schwusel zwischen den Beinen, den kann er sich nur von dir abgeguckt haben. „Ja, den Schwusel“, habe ich geantwortet, „aber doch nicht die rosa Ausfertigung.“
Ich kenne ja meine Frida. Mir die Schuld in die Schuhe zu schieben ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Und sie wird dabei immer lauter. Ich wäre eine Gendermaschine, hat sie behauptet, ich wäre schuld, denn schließlich wäre er mein Sohn, ich der Vater und sein natürliches Vorbild. Und prompt hat sie den Vorwurf herausgeholt, ich wäre immer viel zu vorsichtig gewesen, hätte unseren Sex versteckt gehalten, so dass der Junge gar nicht hatte sehen können, das es eben Mann und Frau sein müssen, die übereinander herfallen. Dabei ist sie es, die immer über mich gekommen ist wie ein ausgehungerter Pavian über einen Strauch Bananen.
Seit diesem Abend mit der schlauen Professorin im Fernsehen habe ich keine ruhige Minute mehr gehabt. Nicht einmal die Schweinskopfsülze hat sie für mich aus dem Kühlschrank geholt, geschweige denn die Backenspieße vom Ferkel gebraten. Seit Wochen muss ich mich von trockenem Dönerfleisch ernähren, das ich mir immer fertig gegrillt von der Stange hole.
Es sollte noch viel schlimmer kommen. Denn unvorbereitet ist eine neue Folge der Gender-Sendung über den Bildschirm geflimmert. Wieder von dieser Professorin, deren Schlauheit ich inzwischen anzweifle. Und prompt fängt Frida an zu zweifeln, ob sie überhaupt eine Frau wäre, ob nicht vielleicht ihre Erziehung sie erst zur Frau gemacht hätte und sie eigentlich etwas ganz anderes wäre. Erst habe ich gedacht, das wäre wieder so ein Trick von ihr, um mich scharf auf sie zu machen. Doch dann hat sie ihre wirkliche Absicht gezeigt: Sex ja, aber eine ganz bestimmte Sorte. Nämlich Haue! Dass tue ich nicht, habe ich klar gesagt. Wenn sie sich prügeln will, soll sie einem Boxverein beitreten, habe ich ihr gesagt und ihr aufgezählt, was man alles für Schäden davontragen könne. Daraufhin hat sie gefaucht wie eine Katze und gefragt, ob ich nicht auch das Bedürfnis hätte, mich zu prüfen und zu vergewissern? Vielleicht, so Frida, sei sie keine Normalo-Frau, sondern eine ganz bestimmte ...“ „Eine Monsterfrau“, hab ich geantwortet und die berühmte Frida-Wut erwartet. Aber sie ist ganz ruhig geblieben. Freilich mit Augen, die vor Giftigkeit tränen. Sie wolle umgehend mit einer Peitsche gehauen werden, hat sie verlangt und drohte: sonst würde sie mich traktieren. Ich kenne Frida, die schlägt schon mal gern drauf. Das haben auch ihre Kolleginnen aus der Schnapsfabrik schon erfahren müssen.
Dann hat sie mir ein Einkaufsnetz gereicht, dass sie auseinander geschnitten und mit einem Stück Leder aus einer meiner Jacken verklebt hat. Und plötzlich ruft sie: Komm jetzt endlich her, wenn du ein Mann bist! Ja, das hat die Raffinierte gerufen. Na und, habe ich geantwortet, wer sagt denn, dass alle Männer hauen wollen? Ich solle nicht so dumm sabbeln, hat sie gepöbelt, sondern endlich zur Sache kommen. Unerhörter Weise hat sie gedroht, mich bei einer weiteren Verweigerung umzugendern. Und: Ich, der Fredo, habe sowieso ein kindliches Gemüt, und da wäre es ihr ein Leichtes, mich mindestens zu einem Zwitter zu machen.
Nun, was soll ich sagen, ich habe also vor der Wahl gestanden, entweder ein Zwitter zu werden oder Schläge von ihr zu kriegen. Jawohl, Rück-Schläge! Richtig gehört: Schläge für mich, denn niemand darf glauben, dass Frida sich einfach so