Gedichte eine Auswahl
Gedichte eine Auswahl
Aus: Erste Liebe, Anthologie, Hrsg: KulturStammtisch Dulsberg
Lebenshilfe
Schon immer hofften Chris und Kalle
auf Zauberkräfte durch Kristalle.
Sie suchten einen feurig-klaren
auf Messen und auf Fachbasaren.
Auf blauem Samt entdeckten sie,
was Kenneraugen Glanz verlieh,
und feilschten, boten ohne Maßen
viel mehr, als sie real besaßen.
Vergeblich, wie sich bald erwies,
weil sich der Stein nicht kaufen ließ.
Doch Chris und Kalle wollten nicht
verzichten auf das Funkellicht.
Im Dunkeln schlichen sie zurück
und stahlen weg das gute Stück.
Es sollte nur noch ihnen nützen,
und nebenher - vor Strafe schützen.
aboreas, 9/2004
Vergänglich
Zwei Autos verharrten am Wegesrand:
Ein Volvo, ein Daimler – schon altbekannt.
Sie zänkelten, prahlten und blafften sich an.
Da hupte der Daimler, versicherte dann:
„Ich war einst zu Hause in Blankenese,
mein Herr aß nur Austern und Öko-Käse,
dazu trank er Wein und betörte die Frauen.
Er ließ sich ein Schiffchen zum Segeln bauen
und grüßte mit Freuden die Elbchaussee -
nur Volvos am Wege, die taten ihm weh.
Da kochte der Volvo, geriet fast in Brand,
versicherte, ihm sei der Fahrer bekannt:
Sein Käse sei stinkig wie Harzer Roller
und dumm sei der Kerl wie ein Straßenpoller.
Das Schiffchen, das habe nach Fisch gestunken
und sei doch bestimmt schon am Kai gesunken.
Der Daimler bestünde aus Billig-Blech,
gewiss nichts Besondres, nur grottenfrech!“
“Ich aber“, verriet er, „war König hier.
Mein Herr trank Champagner, kein Billig-Bier.
Er thronte auf Seide und Tüll am Steuer,
verziert von Brillianten, unmenschlich teuer.
Es duftete süßlich nach Rosenholz,
ein Auto, ein Volvo, so göttlich, so stolz.“
Auf einmal, in frühester Morgenstunde,
fuhr knatternd ein Polo die erste Runde.
Und mit ihm kam schleichend das Tageslicht.
Da drohte der Benz dem früh störenden Wicht:
„Du billiger Stinker, du Schachtel auf Rädern,
du kopfloser Spatz ohne Flügel und Federn,
verschwinde, du Wanze, ich jag dich sonst fort.“
Es fiel ihm der mächtige Volvo ins Wort:
„Die Autos von heute - ein schlimmes Los,
verbrauchen auf Hundert sechs Liter bloß.
Ihr Leib wirkt so mickrig, wie auf Diät,
die leben nicht lange, die Mode vergeht ...“
Ein kreischiges Schmatzen zerriss jäh die Nacht.
Schrill hupte der Volvo, ein Kran hob ihn sacht.
Dann fiel er vom Haken, direkt in die Presse.
„Häh, häh“, rief der Daimler, „jetzt gibts auf die Fresse!“
Doch ohne Verspätung, so zwanzig nach sieben,
war auch von dem Daimler nur Schrottwert geblieben.
Sein Würfel erreichte die Schmelze um Acht.
Sogleich griff die Glut nach der einstigen Pracht.
C = Rüdiger Aboreas
Veröffentlicht: T. Rohrer, U. Eickenberg, SPAß BY SEITE, Poesie-Antologie der Leselupe, ISBN 3-935982-5
Empfindung
Sanfte Begierde, die stumm und verhalten
über die tauigen Gräser eines
verträumten Gestades in der aufgehenden
Sonne eines großen Gefühls tanzt.
Tastende Finger, die unstet in der aufkommenden Schwüle zwischen dem spärlichen Bewuchs
einer sanft abfallenden Dünung nach Halt suchen.
Krampfende Hände, die in der auf-
schäumenden Springflut des Verlangens
hilflos und vergebens nach dem
rettenden Atem der Besinnung fassen.
Schwerelose Seelen, die nach der befreienden
Durchmischung der Elemente in der Stille der
Nacht neue Lebenskräfte sammeln.
C = aboreas 1998
Wenn die Kunst die
Wirklichkeit nicht wirklich beschreibt,
dann wird die Kunst zu einem künstlichen Werk.
C = aboreas 12/2002
Angebot und Nachfrage
Wenn eine Aktie emittiert,
versammeln sich die Geldgewandten.
Wenn ein Gerücht das Maul passiert,
dann grüßen sich die Denunzianten.
Die einen fragen nach Bilanzen,
nach dem, was die Geschäfte stört.
Die andern lauern wie die Wanzen
auf den, der zum Gerücht gehört.
Sind Börsenkurse schlicht notiert,
für jedermann leicht einzusehen,
ist die Verleumdung ziseliert
und oft nur schwerlich zu verstehen.
Der Aktionär erlöst Gewinn,
den Kursanstieg, die Dividende.
Dem Denunzianten steckt was drin,
es kitzelt ihn in Hals und Lende.
Sie mögen grundverschieden sein,
doch folgen sie den Marktgesetzen:
Ihr Wert stellt sich durch Bieten ein,
ja, auch beim nachgefragten Petzen.
© aboreas, 2003