Bildende Kunst als ideologisches Vehikel
Mit „Kunst für alle - Hitlers ästhetische Diktatur“ liegt ein Buch vor, das enorm hilfreich ist für all jene, die sich mit der Rolle der Kunst und der Künstler im Nationalsozialismus auseinandersetzen wollen. Die Autorin, die so gut wie niemanden auslässt, folgt den Lebenswegen der Künstler durch den Faschismus, entlässt sie in die Emigration oder beschreibt die sozialen und lebensbedrohenden Folgen von Widerspruch und Widerstand.
Der Leser bekommt eine Vorstellung vom faschistischen Kunstbetrieb allein schon durch die akribische Darstellung zahlloser Sachverhalte und Abläufe in der Zeit. Dabei führt die Autorin den Leser in den öffentlichen Raum, in Gemeinschaftseinrichtungen wie Bahnhöfe oder andere kollektiv genutzte Einrichtungen, in die Sozialräume von Behörden und Unternehmen. Vor allem werden mit vielen Beispielen immer wieder die staatlich organisierten Kunstausstellungen angesprochen, selbstverständlich auch solche, auf denen die sogenannte „entartete Kunst“ zu bestaunen gewesen ist - Wanderausstellungen zumeist, die übrigens von der Bevölkerung gern besucht worden sind. Selbst das Militär hat sich mit Inspirierendem am Bau oder in den Aufenthaltsräumen der Kasernen geschmückt. Stets ist es den Kunstfunktionären um die „Ästhetisierung“ des Alltags mit all seinen Facetten gegangen, was letztendlich dem System hat dienen sollen, vor allem der ideologischen Ausrichtung der Bevölkerung. Die Autorin zeichnet ein detailliertes Bild von dem, was gewesen ist. Überdies schaut sie voraus und fragt nach.
Es erübrigt sich, hier auf die weitläufigen, ebenso detaillierten Beschreibungen des nationalsozialistischen Kunstbetriebs einzugehen. Nur auf eines möchte ich an dieser Stelle hinweisen: Es hat mich schon überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit eine selbstbewusst auftretende Kriegskunst zum kulturellen Leben gehört hat. Eine Ästhetisierung des Grauens oder einfach nur eine Art von kunstgelenkter Wirklichkeitsverzerrung, um das Grauen abzudämpfen. Bleibt anmerken, dass ich darüber hinaus viel gelernt habe.
Man muss Frau Dr. Karin Hartewig dankbar sein für die außergewöhnliche Intensität, mit der sie den Kunstbetrieb durchpflügt hat und immer wieder Unbekanntes und Unerwartetes hervorbringt in dem Buch. Eine Arbeit, die sich auch im Auflisten von über 500 Personen spiegelt, die mit dem nationalsozialistischen Kunstbetrieb zu tun gehabt haben. Der historisch Interessierte kann zudem auf 15 Seiten Literaturhinweise und auf über 40 Seiten Anmerkungen zugreifen, wodurch eine zielgerichtete Suche garantiert sein dürfte. Insgesamt eine verdammt gute Basis für alle Interessierten, die sich mit der Materie auseinandersetzen möchten.